„Die Politik muss sich wieder der Wirtschaft zuwenden!“

Unternehmertag mit Sigmar Gabriel: Dr. Marcus Korthäuer kritisiert die andauernden politischen Personaldebatten der Parteien und fordert klar formulierte deutsche Interessen in einer sich verändernden weltpolitischen Lage

„Worum geht es derzeit in der deutschen Politik?“ Diese Frage stellte Dr. Marcus Korthäuer, Vorstandsvorsitzender des Unternehmerverbandes, gestern Abend beim Unternehmertag in Duisburg vor rund 300 Gästen. Seine Antwort: „Um Personalien und um Umverteilung.“ Korthäuer kritisierte scharf die stetige Beschäftigung des Berliner Politikbetriebs mit sich selbst und schlecht gemachte Kompromisse nach dem Gießkannen-Prinzip, Stichwort Grundrente. Eine langfristig ausgerichtete Politik sehe anders aus. „Immer wieder lese ich, dass sich ein reiches Land wie Deutschland diese und jene soziale Wohltat doch leisten können müsse. So kommt eine Wohltat zur anderen, die Wunschlisten werden länger und teurer, die wirtschaftliche Grundlage wird als gegeben vorausgesetzt, die notwendigen Mittel werden schon irgendwie wie Manna vom Himmel fallen. Wir sind ja reich.“ Dass die stetig steigenden Bürokratiekosten sowie Steuer- und Abgabelasten der Wirtschaft zunehmend die Luft zum Atmen nähmen, würde in Berlin kaum noch wahrgenommen. Korthäuers Appell: „Die Politik muss sich wieder der Wirtschaft zuwenden. Damit Deutschland auch künftig in einer sich verändernden Weltpolitik ein Rolle spielen kann.“

Damit spielte Korthäuer auf die politische Mission des Hauptredners beim Unternehmertag an: Sigmar Gabriel. Der ehemalige Außenminister, Vize-Kanzler und SPD-Chef forderte in Duisburg von der Politik „mehr Verantwortung in bewegten Zeiten“, so auch der Untertitel seines aktuellen Buchs „Zeitenwende in der Weltpolitik“. „Wir erleben aktuell das Ende von 600 Jahren Europa-Zentriertheit“, so Gabriel. „Die Handelsachsen verschieben sich vom Atlantik zum Pazifik – mit dem Ergebnis, dass das Leben für uns in Europa unbequemer wird.“ Die USA hätten schon unter Präsident Obama ihren Blick gen Asien gerichtet und erkannt, dass sie sich auf eine große Herausforderung konzentrieren müssten: China. Als Schutzmacht der liberalen Weltmacht würden sie sich mehr und mehr zurückziehen.

Deutschland würde nur so lange respektiert, wie das Land ökonomisch stark sei, sagte Gabriel. Er blickte allerdings skeptisch in die Zukunft: „Wir beherrschen die Produkte, Amerikaner und Chinesen die Datenplattformen. Die Zukunft sind die Plattformen.“ Die kommenden zehn Jahre würden die herausforderndsten seit Ende des zweiten Weltkriegs. Das müssten die politischen Entscheider aller Lager erkennen und entsprechend handeln: „Meine Sorge ist: Wir investieren ganz viel ins Heute, zum Beispiel den Kohleausstieg, aber nur sehr wenig ins Morgen.“ Während China dreistellige Milliardenbeträge für Künstliche Intelligenz zur Verfügung stelle, seien es hierzulande gerade einmal drei Milliarden. Schnelle Entscheidungen seien heute wichtiger denn je, wie der Beispiel Flughafenbau zeige: Während am BER seit 2006 gebaut wird, ist der neue internationale Flughafen Pekings nach nur vier Jahren Bauzeit eröffnet worden. Gabriel: „Ich will nicht das chinesische Planungsrecht. Aber es kann nicht nur so langsam gehen wie bei uns oder so autoritär wie in China – da muss es etwas dazwischen geben.“

Korthäuer unterstrich die Forderungen Gabriels: „Die derzeitige befremdliche Innensicht in Berlin missachtet all die Gefahren, die uns von globaler Ebene drohen. Haben wir nationale Interessen formuliert und uns international entsprechend positioniert? Ich glaube nicht. Viele andere aber schon – und jene sind bereits dabei, ihre Interessen auch durchzusetzen, zu unseren Lasten.“ Der Einfluss Deutschlands in der Welt beruhe nicht auf seiner Einwohnerzahl oder militärischen Stärke, sondern allein auf der Wirtschaftskraft. „Ich sehe allerdings nicht, dass diese Erkenntnis von der Politik derzeit gestützt wird. Was ist die Konsequenz, wenn das so bleibt? Ganz einfach, dann werden wir irgendwann kein reiches Land mehr sein – und ein Leichtgewicht in der Weltpolitik.“

Auch der Blick nach Europa helfe nur wenig. Die EU sei derzeit nicht in der Lage, den beiden Großmächten USA und China etwas entgegenzusetzen, so Korthäuer. „Solange die EU-Staaten nicht begreifen, dass wir nur gemeinsam stark sind, wird sich hier auch nichts ändern.“ Gabriel kritisierte in diesem Zusammenhang das moralische Sendungsbewusstsein Deutschlands: „Wir dürfen nicht nur kritisieren, sondern wir müssen verstehen wollen, warum andere anders denken. Denn nur dann haben wir die Chance, als Europa einen gemeinsamen Blick auf die Welt zu bekommen. Wir werden nur stark sein, wenn wir zusammenhalten.“

Korthäuer zeigte sich skeptisch, dass sich diese Einsicht in absehbarer in der EU durchsetze. Die bilateralen wirtschaftlichen Verflechtungen einzelner EU-Staaten mit und Abhängigkeiten von China oder den USA würden eine gemeinsame Positionierung als starkes Europa – und als dritte Kraft – sehr schwierig machen.

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Unternehmertag Winter 2019 im HAUS DER UNTERNEHMER: Sigmar Gabriel (Mitte) mit Dr. Marcus Korthäuer (links), Vorstandsvorsitzender der Unternehmerverbandsgruppe, sowie Hauptgeschäftsführer Wolfgang Schmitz. (Foto: Unternehmerverband)

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