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WeiterlesenSeit 20 Jahren produziert thyssenkrupp am Standort Mülheim an der Ruhr Lenkungen für die Automobilindustrie. In dieser Zeit hat das Unternehmen die rasante Entwicklung der Fahrwerkstechnologie mit eigenen Produkten begleitet. Heute gehört thyssenkrupp zu einem der führenden Hersteller von elektrisch unterstützten Lenksystemen und kann Trends wie das hochautomatisierte bzw. autonome Fahren bedienen. Mit Geschäftsführer Ralf Ebber sprachen wir über Perspektiven wie Digitalisierung, KVP und Qualifikation.
[unternehmen!]: Bevor wir über irgendetwas Fachliches sprechen: Wie ergeht es der thyssenkrupp Presta Mülheim GmbH in Corona-Zeiten?
Ralf Ebber: Wir haben einen Umsatzeinbruch erlebt und viele Mitarbeiter waren in Kurzarbeit. Seit einigen Wochen erleben wir einen deutlichen Nachfrageanstieg unserer Kunden. Die weitere Entwicklung ist aber sicherlich noch mit vielen Unsicherheiten behaftet.
In der Theorie der Betriebswirtschaftslehre heißt es immer: antizyklisch denken. Kann dieser Grundsatz in dieser extremen Lage, also während eine weltweiten Pandemie, überhaupt gelten?
Die Corona-Pandemie erfordert zunächst schnelle Antworten und Maßnahmen, um sich auf neue Gesundheitsschutzaspekte und wirtschaftliche Ziele vorzubereiten. Grundsätzlich können einschneidende Ereignisse aber auch Anstoß für Überlegungen zu langfristigen Veränderungen sein. Wir haben in den vergangenen Jahren gelernt, dass in jeder Krise auch Chancen liegen: Die Einführung von Neuerungen geht dabei aber nicht auf Knopfdruck. In unserem Fall war der Auslöser für ein generelles Umdenken eine Schlüsselsituation im Unternehmen.
Welche Schlüsselsituation war das?
Das Unternehmen hat einen großen Kundenauftrag verloren. Dadurch war absehbar, dass die Auslastung des Unternehmens stark sinken würde. Um die Kosten in ein ausgewogenes Verhältnis zu den Umsätzen zu bringen, waren viele Veränderungen notwendig. Aber gleichzeitig sind wir auch verschiedene technologische Neuerungen angegangen. Für einen Umstrukturierungsprozess war das eher ungewöhnlich.
Was war der entscheidende Technologiewechsel in Ihrem Unternehmen?
Die verschiedenen Teilprojekte fallen alle in die Kategorie „Industrie 4.0“. So arbeiten Mitarbeiter nun zum Teil Schulter an Schulter mit kollaborativen Robotern. Auch der Einsatz von 3D-Druckern ist neu, um Betriebsmittel und Ersatzteile in Eigenproduktion schneller herstellen zu können. Erfolgreich setzen wir nun zudem so genannte Smart-Glasses ein, um z. B. bei Wartungsarbeiten in anderen Lenkungswerken zu unterstützen. Im Rahmen der Inbetriebnahme neuer technischer Anlagen sind zahlreiche Abstimmungen zwischen verschiedenen Anlagenherstellern, dem Montagewerk, in dem die Anlage installiert werden soll, und den Mitarbeitern der Technischen Planung aus Mülheim notwendig. Dadurch entstehen viele zeitaufwändige Reisen. Heute können Mitarbeiter virtuell mit anderen Werken oder Lieferanten verbunden werden und gemeinsam länderübergreifend an derartigen Projekten arbeiten. Auch Smart Watches zur Unterstützung der Bedienung, Störungsbeseitigung und Beschickung von und an Fertigungsmaschinen gehören seit kurzem zu den Hilfsmitteln unserer Maschinenbediener. Schließlich verdrängen wir mit unserem virtuellen Stationsordner Papier aus den Fertigungshallen.
Welche neuen Technologien bewegen Sie zurzeit?
Die Einführung des neuen SAP Systems S/4 HANA läuft noch. Da nahezu sämtliche Prozesse betroffen sind, sind die Auswirkungen sehr groß. Hier werden sich die Vorteile erst voll erschließen, wenn das System in allen Schwestergesellschaften implementiert ist. Wir sehen aber schon heute die Potenziale schnellerer Systemantwortzeiten oder der Prozessharmonisierung. Die meisten abgeschlossenen Projekte mit neuen Technologien waren sowohl inhaltlich als auch finanziell ein voller Erfolg. Einen Alltag ohne einige neue Technologien können sich die Beschäftigten gar nicht mehr vorstellen. Aber nicht alle Projekte sind wirtschaftlich. Zum Beispiel wurde von der Einführung von Exoskeletten – auch aus Praktikabilitätsgründen in der Montagefertigung – wieder Abstand genommen. Beim Experimentieren mit neuen Technologien klappt eben nicht alles. Der wichtigste Erfolg der neuen Technologien ist jedoch der Beitrag, eine neue Kultur im Unternehmen zu etablieren: Von reiner Performance Orientierung zu neuem Mut und Unternehmergeist.
Wie steht es um das Thema Qualifikation: Gab es die Notwendigkeit einer Qualifikationsanpassung?
Einige Anforderungen und Berufsbilder werden sich ändern oder haben sich bereits geändert. Neue Technologien wie 3D Druck oder Smart Devices werden zum „Standard-Werkzeugkoffer“ eines Prozess- oder Anlageningenieurs gehören. Dies muss sich in der Qualifikation – am besten bereits in der Berufsausbildung – wiederfinden. Viele unserer Beschäftigten haben sich on-the-job weitergebildet. Sie konnten eigene Ideen umsetzen und haben sich teils selbstständig um die Aneignung des erforderlichen Wissens gekümmert. Die Zusammenarbeit mit externen Partnern war hierbei sehr hilfreich, z. B. mit Fraunhofer-Instituten oder einem Start-up im Bereich Softwareentwicklung für Industrieanwendungen.
Was sind aus Ihrer Sicht und Erfahrung die erfolgskritischen Aspekte bei der Einführung neuer Technologien – und Veränderungsprozessen generell?
Einer der wichtigsten Stellhebel war für uns die „echte“ Einbindung der Beschäftigten. Diese erfolgte auf Basis einer guten Vorbereitung und Vorgabe der Unternehmensführung. Die eigentlichen Ideen zur Einführung konkreter neuer Technologien kommen dann nicht mehr top-down, sondern bottom-up. Die Verzahnung und Zusammenarbeit im Unternehmen ist insgesamt – nicht nur hierarchieübergreifend, sondern auch interdisziplinär – ein kritischer Faktor.
Der vermeintlich geeignetste Beschäftigte ist nicht unbedingt der Fachexperte. Wir stellen fest, dass kreative und intrinsisch motivierte Mitarbeitende zum Teil nicht nur schnellere, sondern auch bessere Lösungen liefern. Wenn Motivation, Kreativität, Fachkenntnisse und IT-Affinität zusammenkommen, ist das ein idealer Mix für digitale Neuerungen. Um nachhaltig Erfolg mit neuen Technologien zu haben, ist das wichtigste Erfolgskriterium, eine Kultur zu schaffen, die neben „Performance heute“ auch „Chancen für morgen“ belohnt.
Ein Blick in die Glaskugel: Wie schätzen Sie die Bedeutung der Digitalisierung für das Unternehmen innerhalb der nächsten fünf Jahre ein?
Unsere Kunden sind international aufgestellt und unser Geschäftsbereich ist weltweit mit Fertigungsstätten vertreten. Wir erleben, wie die Vernetzung mit den Kunden und auch intern voranschreitet. Aber nicht nur in der Vernetzung, sondern auch in vielen anderen Bereichen werden digitale Technologien mehr und mehr zum Arbeitsalltag gehören. Wer es verpasst sich mit neuen Technologien zu beschäftigen, wird auch Chancen zur Steigerung der Performance in der Fertigung und der Verwaltung verpassen. Das können wir uns insbesondere in Deutschland nicht erlauben. Wir müssen vielmehr der Treiber der Weiterentwicklung sein.
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