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Unternehmertage und -treffen, Seminare, Arbeitskreise, Business Breaks oder Netzwerkveranstaltungen – die nächsten Termine des Unternehmerverbandes sind hier aufgelistet.
Weiterlesen[unternehmen!]: Der Wirtschaftsstandort Deutschland befindet sich in der heftigsten Wirtschaftskrise seit Kriegsende – was haben wir falsch gemacht?
Prof. Dr. Michael Hüther: Das deutsche Geschäftsmodell basiert auf einer starken Industrie, die sich unter anderem auch zu passablen Energiekosten auf den Export konzentriert. Dieser Ansatz hat uns über Jahrzehnte zu mehr Wohlstand verholfen. Mit den Folgen, die sich aus der Pandemie und vor allem dem russischen Angriffskrieg ergeben, steht das Modell nun vor einer tiefen Anpassung, womöglich sogar insgesamt auf dem Prüfstand. Unabhängig von den aktuellen Auslösern muss sich die deutsche Wirtschaft auf gravierende strukturelle Herausforderungen einstellen: Dazu zählen die digitale Transformation, der Weg zur Klimaneutralität von Energie und Produktion sowie das schrumpfende Erwerbspersonenpotenzial, ein Problem, das sich ab 2025 verschärfen wird. Insgesamt steht der Wirtschaftsstandort Deutschland enorm unter Stress.
[unternehmen!]: Was kommt 2023 noch auf die Unternehmen zu?
Prof. Dr. Michael Hüther: Wir müssen aktuell davon ausgehen, dass die Krise uns auch über das Frühjahr 2024 noch beschäftigen wird. Strom und Gas dürften langfristig teuer bleiben, der politische Reformstau ist gewaltig. Es kann sehr ungemütlich werden.
[unternehmen!]: Was hätten wir in der Vergangenheit besser machen können bzw. müssen?
Prof. Dr. Michael Hüther: Natürlich folgen einige Probleme externen Faktoren, die sich kaum beeinflussen lassen – der demografische Wandel beispielsweise, der dafür sorgt, dass zwischen 2025 und 2030 rund drei Millionen Arbeitskräfte altersbedingt verschwinden werden. Hausgemacht sind aber verschleppte Reformen, deren Folgen die Wirtschaft nun zusätzlich belasten und Anpassung ohne Not verteuerten. Die derzeitige Struktur der Sozialversicherung belastet enorm, hier ist Handlungsbedarf.
[unternehmen!]: Braucht Deutschland Alternativen zur Industrie, also ein neues Geschäftsmodell für Made in Germany?
Prof. Dr. Michael Hüther: Die Frage ist eher: Welche Perspektiven ergeben sich für das deutsche Modell? Durch Krieg und Pandemie haben sich zahlreiche Investitionsbedingungen deutlich verschlechtert, dazu zählen hohe Energiekosten, mangelnde Energieversorgungssicherheit, aber auch weltweite Risiken, gestörte Lieferketten, unzuverlässige Rahmenbedingungen und hohe Arbeitskosten. Es ist nicht die Zeit, um Erfolgsfaktoren grundsätzlich zu hinterfragen – vielmehr gilt es, die Schmerzpunkte entschlossen anzugehen, im Großen wie im Kleinen. So könnten eine Stundung der Vorauszahlung auf Steuern für das vierte Quartal dieses Jahres und das erste Quartal 2023 vielen Unternehmen schon etwas mehr Luft zum Atmen geben.
[unternehmen!]: Kann die Klimakrise auch eine Chance für die deutsche Industrie sein? Umgekehrt gefragt: Reicht die energetische Transformation der deutschen Wirtschaft als Zukunftsstrategie?
Prof. Dr. Michael Hüther: Klimafreundliche Geschäftsmodelle können selbstverständlich eine Chance sein – sofern sie sich betriebswirtschaftlich rentieren. Im Bereich Umwelttechnik und Ressourceneffizienz sind deutsche Anbieter aus etablierten Industriebranchen bisher gut positioniert. Das betrifft vor allem energieeffiziente Maschinen und Anlagen, der Bedarf danach ist hoch.
[unternehmen!]: Wie können wir den Fachkräftemangel wirksam bekämpfen?
Prof. Dr. Michael Hüther: Im Grunde bleiben uns nur zwei Instrumente: Einerseits müssen wir mit kluger Einwanderungspolitik Fachkräfte nach Deutschland locken. Das kann etwa über die Hochschulen gelingen. IW-Auswertungen zeigen, dass ausländische Studenten oftmals in den für die Industrie, insbesondere für die M&E-Industrie, wichtigen MINT-Fächern studieren. Doch neben der Zuwanderung sollten wir auch die Abwanderung nicht aus den Augen verlieren. Der andere Hebel liegt in der Arbeitszeit: Die Erwerbsquote ist in Deutschland bereits sehr hoch, aber beim Arbeitsvolumen gibt es noch Potenzial. Würden die Deutschen im Schnitt pro Woche zwei Stunden länger arbeiten, so wie es etwa die Schweizer tun, lassen sich bis 2030 rund 4,2 Milliarden Arbeitsstunden ersetzen, die sonst durch Rentenübergänge verloren gehen.
[unternehmen!]: Welche Rolle spielt das Bürgergeld in diesem Zusammenhang? Wird sich ein Teil der Deutschen künftig in der Hängematte der Sozialtransfers ausruhen?
Prof. Dr. Michael Hüther: Das denke ich nicht – zumindest geben die Zahlen dieses Bild nicht wieder. Die Erwerbstätigenquote steigt in Deutschland kontinuierlich an. Die Pandemie hat diesen Trend zwar kurz unterbrochen, aber der Effekt ist vergleichsweise klein, daran werden vermutlich auch die rund 50 Euro mehr, die beim Bürgergeld vorgesehen sind, nichts ändern. Zentraler Kritikpunkt bleiben die Erhöhung des Schonvermögens und die Aussetzung von Sanktionen: Drohen Sanktionen, finden Arbeitslose schneller einen neuen Job, das zeigt uns die Forschung.
[unternehmen!]: Autokratische Staaten und PolitikerInnen sind auf dem Vormarsch: Ist eine auf Ethik und Moral basierende Außen- und Wirtschaftspolitik heute nicht schon ein Wettbewerbsnachteil oder gar gefährlich?
Prof. Dr. Michael Hüther: Moral kostet Geld, keine Frage. Aber der russische Angriffskrieg zeigt uns, dass die Menschen in Deutschland bereit sind, für Moral zu zahlen – sie unterstützen die Sanktionen gegen Russland trotz möglicher Nachteile. Gefährlich ist es dagegen, sich in unüberschaubare Abhängigkeiten zu manövrieren, so wie in den vergangenen Jahren im Energiesektor geschehen: Entscheidet sich dann einer der Geschäftspartner dazu, unmoralisch zu handeln und einen völkerrechtswidrigen Krieg zu beginnen, steht die andere Seite vor einem selbstverschuldeten Dilemma. Auch von China machen wir uns immer abhängiger – eine Entwicklung, die wir sehr genau beobachten sollten. Nachhaltigkeit und Moral müssen langfristig als Wettbewerbsvorteil begriffen werden.
Das Interview führte: Christian Kleff
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